Wem gehört die Strese?

Die denkmalgeschützte Sternbrücke soll abgerissen, der Autoverkehr darunter auf vier Spuren fortgeführt werden. Dieses Vorhaben ist zu kurz gedacht und nicht nachhaltig.

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Das Fahren mit dem Fahrrad durch Hamburg gleicht einem Wechselbad der Gefühle. Mal ist es die reine Freude (Oberhafenconnection), mal ist es ermüdend (Kopfsteinpflaster in Nebenstraßen) und meistens doch sehr stressig. Die Stresemannstraße stellt dabei meinen persönlichen Stresspeak dar und es wird einfach nicht besser.

Eine Brücke mit städtebaulicher Relevanz

Ein Hoffnungsschimmer leuchtete kurz auf, als die Debatte um die Sternbrücke vor einigen Monaten in den Fokus der Tagespresse rückte. Schließlich war das Entsetzen groß, als der Neuentwurf vorgestellt wurde: Die denkmalgeschützte Sternbrücke war weg, stattdessen wurde ein völlig überdimensionierter Bau zwischen die kleinteilige Bebauung geknallt und der Ort damit – im wahrsten Sinne des Wortes – gesprengt. Der Grund für dieses städtebauliche Desaster befindet sich allerdings auf dem Straßenniveau. Die Stadt Hamburg forderte auf, eine Brückenvariante zu entwickeln, die stützenfrei ist, damit die Stresemannstraße an dieser Stelle vierspurig bleiben kann. Anwohner:innen egal, Radfahrende egal, ÖPNV egal, Klima egal – Hamburg bleibt eine autogerechte Stadt. 

Zu dem Zeitpunkt war die Verkehrsbehörde in die Wirtschaftsbehörde eingegliedert – gestalterische Ansprüche an das städtebauliche Umfeld sucht man in solch einer Behörde vergebens. Und genau am Beispiel der Sternbrücke wird klar, wie dicht unsere Verkehrsräume mit dem Städtebau verwoben sind. Statt die Verkehrsbehörde an die Stadtentwicklungsbehörde zu koppeln, wurde sie diesen Juni eigenständig. Inwiefern das zu Verbesserungen für alle Verkehrsteilnehmenden und die Gestaltung des Stadtraums führen wird, bleibt noch offen.

Mit Protesten zur Zweispurigkeit

In einem offenen Brief an den Oberbürgermeister und damaligen Verkehrssenator forderte die Initiative Sternbrücke gemeinsam mit Kitas, Schulen und Eltern „inständig“ die Reduktion des Autoverkehrs auf zwei Spuren und damit die Neuorganisation des Straßenraums. Schließlich war dies bereits einmal der Fall: Nachdem ein junges Mädchen 1991 von einem LKW überfahren wurde, protestierte die Nachbarschaft erfolgreich für eine Zweispurigkeit im Umfeld der Sternbrücke. 2002 brachte der damals regierende Senat (CDU) die Stresemannstraße zurück auf vier Spuren. Grund dafür war der andauernde Stau.

Ich kann mich noch gut erinnern, als die Kollegen von „Richter Gnadenlos“ die durchgezogene Linie der Busspur über Nacht einfach weggekratzt haben, morgens war sie plötzlich gestrichelt und die Straße zwei Spuren breiter. Wir wollten damals als Aktion die Linien mit Wandfarbe wieder nachmalen – haben wir leider nie gemacht – die Idee ist aber immer noch gut.

Ehem. Anwohner | Foto: Stephan Pflug

Eine autogerechte Verkehrsführung trifft auf urbane, dichte Stadtteile

Dass selbst heute der motorisierte Verkehr vor lokal Ansässigen priorisiert wird, zeigt die rückwärtsgewandte Politik des Senats. „Die ganze Stadt im Blick.“ – aus dem Vorort, aus dem Auto – und das unverändert seit den 1950er Jahren. Schließlich wurde in jener Zeit der Grundstein für die autogerechte Stadt gelegt, an der bis heute festgehalten wird. Ziel war damals, den Hamburger Stadtraum städtebaulich aufzulockern. Dies bedeutete, die Wohndichte in der gesamten Stadt zu reduzieren und dafür den Verkehr mehrspurig und leistungsfähig vom wohlhabenden Stadtrand ins Zentrum zu führen. Die Ost-West-Straße ist wohl das bekannteste und gravierendste Beispiel für eine „optimierte Verkehrsschneise“.

Statt also die schmalen Straßenschluchten, die im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurden, wiederherzustellen, fokussierte sich die Planung auf den Ausbau der Ausfall- und Durchgangsstraßen. Doch Hamburg blieb nicht aufgelockert, sondern wurde über die Jahre hinweg zunehmend nachverdichtet, das starke Verkehrsaufkommen immer mehr zum Problem. Da zudem offensichtlich versäumt wurde, den ÖPNV auszubauen, hält der Senat bis heute am autogerechten Modell fest.

Alleine der Abschnitt um die Sternbrücke basiert auf einem Bebauungsplan von 1954, der, soweit es die dortige Bebauung zulässt, umgesetzt wurde. Laut B-Plan sollen die rot schraffierten Flächen zugunsten einer Fahrbahnverbreiterung abgetreten werden. Die neue Gebäudekante kann man am Neubau in der Stresemannstraße 74 erkennen.

Ausschnitt des Bebauungsplans von 1954 im Bereich der Sternbrücke. Die roten Felder markieren die Flächen, die zugunsten der Straßenverbreiterung abzutreten sind. Quelle: Freie und Hansestadt Hamburg

Bis zum vollständigen Abriss aller Bauten wird es zwar noch etwas dauern, der Verkehr wird dennoch weiter sehr dicht entlang der Altbauten geführt. Neben der Tatsache, dass es durch die Raumproportionen quasi keine Aufenthaltsqualitäten gibt, wird der restliche Gehweg zum shared space, was wiederum Gefahrenpotenziale mit sich bringt. Wer kennt nicht den Stressmoment, wenn man mit dem Fahrrad von der S-Bahn Holstenstraße an den Kiosk unter der Sternbrücke rollt.

Etwa 50.000 Fahrzeuge unterqueren täglich die Sternbrücke. Das sind 50.000 Fahrzeuge, die Lärm produzieren und Feinstaub freisetzen. Die enorme Schadstoffbelastung führte dazu, dass 2018 ein Diesel-Fahrverbot in diesem Abschnitt von der Umweltbehörde erlassen wurde. Doch statt klimapolitische Ziele weiter zu verfolgen, wird an vier Autospuren festgehalten. Mit einer zweispurigen Stresemannstraße könnte nicht nur die denkmalgeschützte Sternbrücke erhalten bleiben – auch Wohnhäuser, Clubs, Bars und weiteres Kleingewerbe, die den Ort maßgeblich prägen würden vom Abriss und Neubau nicht betroffen sein.

Städte stehen im Wandel und müssen räumlich entsprechend angepasst werden

Weshalb wird demnach der emissionsfreie Radverkehr nicht weiter gefördert? Es ist 2020 und Covid-19 zeigt uns, dass es für eine Vielzahl von Berufen mittlerweile möglich ist, von zu Hause aus zu arbeiten. Mit der zunehmenden Technologisierung werden sich darüber hinaus Produktionsprozesse künftig verkleinern und mobiler werden. Damit werden auch Transportwege verkürzt – der Wirtschaftsverkehr nimmt ab. In einem Workshop der Hamburgischen Architektenkammer 2018 kamen Planer:innen zum Ergebnis, dass in Zukunft einzelne Quartiere stärker durchmischt werden – wohnen, arbeiten und produzieren rücken zusammen. Statt den weiten Weg zum Büro mit dem Auto zurückzulegen, wird es in Zukunft mehr Co-Workingflächen geben, die näher an der eigenen Wohnung sind. Genau für diesen Fall ist es notwendig den Straßenraum für Radpendler:innen auszubauen. Die Wege werden künftig kürzer und Radfahrende damit schneller als PKWs. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt und Standort, solche Veränderungen loszutreten.

(Ergänzender Absatz – 18.09.20)
Dass der Erstentwurf nicht mit dem Ort vereinbar ist, sehen auch die Regierungsfraktionen aus SPD und Grünen und beantragten im Juni einen Alternativentwurf mit einer Drei-Stützen-Variante. „Da bisher keine vertiefte Betrachtung alternativer Brückenkonstruktionen stattgefunden hat, beantragen wir nun die Prüfung einer Drei-Stützen-Variante für den Neubau der Sternbrücke. Beim Vergleich der Varianten ist uns wichtig, dass auch die Verkehrsführung unter der Brücke betrachtet wird. Mit dem Brückenneubau sollen mehr Platz und Übersicht für den Rad- und Fußverkehr an der Kreuzung Stresemannstraße/Max-Brauer-Allee geschaffen werden.“, so Mareike Engels, Wahlkreisabgeordnete aus Altona und stellvertretende Vorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion in einer Pressemitteilung.

Mitte Juni wurde bereits die zweispurige Variante mit ergänzenden Pop-Up Bikelanes erprobt. Die Initiative Sternbrücke widmete gemeinsam mit dem ADFC zwischen der Sternbrücke und Lerchenstraße jeweils eine Spur zur Radspur um.

Wem gehört die Stadt?

Eigentlich ist die Formel simpel: Wenn man einer Gruppe von Verkehrsteilnehmer:innen mehr Raum gibt, so wird diese Gruppe den Raum auch beanspruchen. Das zeigte sich, als 2002 der Abschnitt an der Stresemannstraße vierspurig wurde: Die Anzahl der PKWs nahm seitdem zu, und heute staut es sich wieder. Mit einem Ausbau der Spuren für den Radverkehr und ÖPNV würde ein attraktives und alternatives Mobilitätsangebot geschaffen werden. Das funktioniert bereits sehr gut in anderen Städten weltweit – es würde auch in Hamburg funktionieren. Die Politik muss sich lediglich für eine lebenswerte Stadt entscheiden, in der die Anwohner:innen und alternative Mobilitätsformen im Fokus der Planung stehen. Es kann einfach nicht sein, dass man fast 70 Jahre an einer Verkehrsplanung festhält, die seit den 1960ern international von zahlreichen Expert:innen massiv kritisiert wird. Es ist 2020 – in den vergangenen Jahrzehnten haben sich durch den technologischen Fortschritt unser Leben sowie unsere Stadtnutzungsansprüche stark verändert. Es wird Zeit für eine rasche Veränderung.

Die Debatte um die Sternbrücke geht in jedem Fall weiter: Die Bezirksfraktion Altona forderte eine Neuplanung mit einer fahrrad- und fußgängerfreundlichen Verkehrsplanung. Darüber hinaus belegt ein kürzlich veröffentlichtes Gutachten, dass die Sternbrücke eine verbleibende Nutzungsdauer von mehr als 50 Jahren aufweist. Zwar gäbe es einige Stellen, die lediglich neun Jahre stabil seien, doch wäre hier, laut einem Brückenexperten, eine punktuelle Sanierung möglich. In einem Entwurf stellte zudem der ADFC gemeinsam mit der Initiative Sternbrücke einen zweispurige Verkehrsführung an der Sternbrücke vor, an der Radfahrende und der ÖPNV Vorrang hätten. „Neue Geh- und Radwege und eine Vorrangregelung für die Busse machen die Brücke nicht nur attraktiver und sicherer für die Menschen, sondern auch zum Symbol der Mobilitätswende in Hamburg“, so Prof. Claus Cajus Pruin vom ADFC in der Pressemitteilung. Einen weiteren, kleinen Lichtblick gibt es in der Nachbarschaft: Berichten aus lokalen Tageszeitungen zufolge soll in der Max-Brauer-Allee zum Herbst eine Pop-Up Bikelane entstehen. Wir bleiben dran und halten euch auf dem Laufenden.

Fotos & Video: Tim Kaiser (wenn nicht anders angegeben)

Maja Mijatovic

Maja ist Freie Journalistin und Pressereferentin im Bereich Stadtentwicklung, Architektur und Urbanismus. Auf ihrem Blog dialogearchitektur.net dokumentiert sie seit 2018 das Hamburger Baugeschehen und plädiert im Allgemeinen für eine Stadt der kurzen Wege. Sie verliert sich gerne auf dem Fahrrad in fremden Städten, fährt Berge lieber rauf als runter und wird wohl nie den deutschen Teil des Iron Curtain Trails beenden.

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