Jungfernstieg autofrei? So wird das nichts!

Schulterblick zur aktuellen Situation in der autoarmen Innenstadt auf dem Jungfernstieg und dem breitesten Radweg Hamburgs am Ballindamm.

//

Seit 16. Oktober gilt die autoarme Verkehrsführung in der Innenstadt (aka autofreier Jungfernstieg). Die mit 4,75 m überbreite Radspur am Ballindamm ist Teil der Umbaumaßnahmen an der Binnenalster und Lieblingsstück der Presseabteilung der BVM Hamburg.

Die neue Radspur am Ballindamm.

Dies ist nicht nur ein starkes Zeichen der Mobilitätswende sondern vor allem auch eine sehr konkrete und schnelle Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur und der Sicherheit für Radfahrende.“

Anjes Tjarks über den Umbau am Ballindamm (4.11.2020)
Bild: © Behörde für Verkehr und Mobilitätswende

Nach anfänglichen Verständnisschwierigkeiten (auf Seiten von Autofahrenden) über die neuen, autofreien Regelungen und entsprechende Presse-Berichte, führte die Polizei Hamburg im gesperrten Bereich am Jungfernstieg Großkontrollen durch und ermahnte/verwarnte rund 1000 (!) Fahrzeughalter:innen an einem Tag. Anjes Tjarks ging Mitte Oktober noch davon aus, das sich das Thema in 2-3 Wochen erledigt habe und sich die Leute erstmal an die neue Regeln gewöhnen müssten.

Wie ist die Situation 2,5 Monate nach der 'Eröffnung' und nach dem geplanten Abschluss der Bauarbeiten?

11. Dezember: Ein 20 minütiger "Walkthrough" vom Ballindamm über den Jungfernstieg in Richtung Gänsemarkt bestätigt: der Jungfernstieg ist weiterhin (auch unabhängig von Bussen und Taxen) NICHT autofrei. Nahezu im Minutentakt befinden sich auf den Fotos Fahrzeuge, die auf einer Radspur/Schutzstreifen parken oder unerlaubt durch den gesperrten Bereich fahren. Nur zum Verständnis: es sind in den 20 Minuten weitere Autos durch den Bereich gefahren, die nicht auf den Bildern sind – die Frequenz der Kfz war höher als die Anzahl der Fotos die entstanden sind.

In der autoarmen Innenstadt zeigt sich ein ähnliches Bild, wie wir es Ende 2019 bei dem Verkehrsversuch Ottensen macht Platz beobachten konnten. Solange die Durchfahrt praktisch möglich ist, rollt der MIV einfach weiter. Auch die üppige Bikelane am Ballindamm wird "in zweiter Reihe" beparkt. Die Parkplätze rechts neben der Fahrbahn "verhindern" hier eine "Protected-Bikelane" und so wird die neue Radspur von Parplatzsuchenden überfahren, beim Ein- und Ausparken gequert oder es wird einfach "kurz gehalten". Während der 20min Besichtigung passierten drei Streifenwagen den Bereich – kontrollierten aber keinen der offensichtlichen Verstöße. Das zuständige PK ist offenbar nicht in der Lage oder gewillt die StVO dort durchzusetzen.

Fast schon fairerweise muss man sagen, dass die aktuelle Beschilderung geradewegs dazu einlädt die Sperrung "zu übersehen". Solange die Polizei nicht ahndet, durchsetzt oder entsprechende Infrastruktur die Durchfahrt verhindert, ist keine Besserung in Sicht.

Aktuelle Situation auf dem „autofreien Jungfernstieg“ PKW fahren ungehindert durch gesperrten Bereich. Wann kommen Poller? Wieso werden offensichtliche Verstöße von @PolizeiHamburg nicht geahndet? @anjes_tjarks @bvm_hh

@radpropaganda 11. Dez. 2020 – Twitter

Hier muss dringend baulich und in der Beschilderung nachgebessert werden, wenn das "starke Zeichen der Mobilitätswende" gesetzt und die "Sicherheit für Radfahrende" wirklich erreicht werden soll. Für das Frühjahr 2022 ist zwar direkt eine zweite Bauphase geplant, in die Erkenntnisse & Feedback aus dem aktuellen Umbau einfliessen sollen. Trotzdem schade, dass im ersten Schritt so vorhersehbare Probleme wie am Ballindamm und in der Regulierung der Durchfahrt am Jungfernstieg nicht mitbedacht oder besser umgesetzt worden sind. Solche Situationen führen bei allen Verkehrsteilnehmenden nur zu Unverständnis und schüren das "Gegeneinander". Auch wenn eine weitere Bauphase geplant ist, sollte eine Durchsetzung der gelten StVO dadurch nicht entfallen dürfen.



Bis einschließlich 15. Mai 2021 steht die Beteiligungs-Plattform für die 2. Bauphase https://beteiligung.hamburg/jungfernstieg/ für Kritik und Anregungen bereit. Laut BVM fließt das gesammelte Feedback "soweit wie möglich in die weitere Planung ein".

Wenn euch dieser Artikel gefallen hat, teilt ihn in euren Kanälen und unterstützt Radpropaganda mit einem Kaffee. Direkt über den Button oder hier für nähere Infos wie ihr Supporter werden könnt.

2 Kommentare

  1. Es ist ein Trauerspiel, aber aller Anfang ist schwer. Das einzig lustige an der Gesamtsituation im Bereich Jungfernstieg/Ballindamm war das Video unseres Verkehrsministers, wie er selbst in Hamburgs größter Ladezone ein DHL-Fahrzeug umfahren musste.
    Ich bin aber zuversichtlich, dass die Situation für den Radverkehr in Hamburg besser wird und wir mehr auch irgendwann mal echte autofreie Zonen bekommen, deren Ein-/Durchfahrt durch Modalfilter beschränkt wird. Bis dahin ist es aber vermutlich noch ein langer Weg.

  2. Bessere Ausschilderung von vorneherein würde auch helfen. Dann würden viele gar nicht erst in den Bereich fahren. Als innenstadtferner oder Nichthamburger passiert es schnell mal, dass man da plötzlich unabsichtlich steht und irgendwie durch muss.
    Ich selbst meide den Bereich ohnehin seit vielen Jahren – mit dem Auto . Wer hat schon Lust durch dieses Chaos zu fahren wenn man nicht gerade zur Gruppe "Autoposer" gehört?

Kommentieren

Your email address will not be published.