Anti Anti Atlas

Wir freuen uns die dritte und letzte Episode einer kleinen Reihe von Erinnerungen, an eine Reise durch die Steinwüste von Marokko und über den Rücken des Atlasgebirges zu präsentieren.


.03 Chances

Text: Sebastian Hofer
Fotos: Sebastian Hofer & Brady Lawrence

‚Warum fahren wir nicht einfach weiter nach Zagora?’ Es wirkte wohl wie ein Scherz, was ich vorschlug. Der Tag hatte damit begonnen, dass wir von einer Herde Ziegen aufgeweckt worden waren. Die Herde wurde von drei Kindern gehütet, die sich nun neugierig um unser Zelt versammelten und wie jedes Kind, kolonialistisch konditioniert prompt nach Geld fragten. Nach 10km lernen wir eine neue Lektion: Starker Gegenwind in der Wüste bedeutet Sandsturm. Die nächsten Stunden kriechen wir kräftezehrend auf dieser nagelneu asphaltierten Straße in Richtung der gefühlt unendlich weit entfernten Wüstenstadt Foum Zguid. Erschöpft und hungrig bestellen wir in der nächstbesten Bar an einer Straßenecke alles, was wir sonst niemals essen würden.

Es war schon 15 Uhr und Zagora war gute 125 Kilometer entfernt. ‚Die Straße ist langgezogen, flach und geht immer nur geradeaus gen Osten. Wir haben doch unsere Lampen dabei! Komm schon, das wird ein geiles Abenteuer! Damit hatte ich ihn und so kauften wir ein paar Snickers, Cola und eine Extraportion Fritten und fuhren mit Herzklopfen in Richtung Abendsonne. Ein unvergesslicher Ritt auf dem schmalen Grat zwischen Vernunft und schwindender Beinkraft durch eine sternenklare Nacht lag uns bevor.

Eines der magischen Elemente am Radreisen ist, dass man dem Zufall wieder eine Chance gibt. In einer Welt wie Marokko, deren subtile Regeln man nicht verinnerlicht hat, wo die Digitalisierung noch kaum Einzug gehalten hat, da machen Souveränität und Effizienz Platz für Intuition und Improvision. Je weiter man sich aus seiner Komfortzone herauswagt, desto tiefer dringt man doch ein in das Hoheitsgebiets der Beliebigkeit. Die Herausforderung besteht darin, das Schöne darin zu erkennen. Später nach unserer Heimkehr erzählen wir dann unseren Freunden mit einem süßen Geschmack im Mund von dem Dattelverkäufer am Straßenrand, der den sehnsüchtigen Wunsch nach dieser verführerischen Frucht nach 800km endlich erfüllen konnte.

Wir lachen bei der Erinnerung an den Ziegenhirten mitten im Atlasgebirge, der aus dem Nichts auf einmal auf der Straße auftaucht. Er winkt fröhlich und schüttelt sich mit einem zahn- und sorglosen Lachen. Auch für ihn war das ein sonderbarer Moment, zwei Männer auf Fahrrädern mitten in seiner Komfortzone. Wir beginnen solche Geschichten mit einleitenden Adjektiven wie absurd, authentisch oder random. So auch die Erinnerung an den alten Mann, der in seiner senfgelben Djelleba in einem abgelegenen Dorf mitten im Atlasgebirge in einer Kurve vor seinem Kiosk/Café/Herberge/Bäckerei auf einem Plastikstuhl sitzt und aufspringt als er uns sieht. Er lädt uns ein auf ein Glas des altbekannten Minztees, serviert frisch geknackte Walnüsse und schickt seinen Neffen los, frisch gebackenes Brot zu holen. Wohin er verschwand und mit welch frisch duftenden Brot er zurückkam, war uns ein Rätsel. Wir essen unser obligatorisches Käse, Avocado, Thunfisch Sandwich, bieten dem alten Mann auch eines an und versuchen ernsthaft, uns die Worte für all die Dinge auf die er zeigt und sie auf Berbersprache benennt, zu merken. Wir gaben ihm 50 Dirham und machten uns auf den Weg.

Der Süden von Marokko zwischen dem Atlasgebirge und der Sahara ist rau, geprägt von überraschend vielen verschiedenen Arten, Farben und Formen von Wüsten und ist hier und da gesprenkelt mit Palmen, in Flussbetten wo längst kein Wasser mehr fließt. Der perfekte Ort also für innerliche Adaption. Man lernt die Feinheiten zu sehen wenn der Blick sich neu justiert. Wenn dieser nicht auf der Suche ist. Würde man im Auto, geschützt von Sandstürmen, Sonne und Geographie durch die Landschaft sausen, man wäre umringt von Berechenbarkeit und fixiert auf das nächste touristische Ziel. Das Konzept des Planens stößt so auf das Konzept des Zufalls.

Anti Anti Atlas – 1100km – 10 Tage

Alles erscheint irgendwann normal. Man adaptiert sich. Der Blick und die intuitive Bewertung ändern sich. Das ist der Moment, da man die Schönheit zu sehen beginnt und alles wieder im Fluss ist.

Über die Reisenden

Brady Lawrence ist Geschichtenerzähler und Media-Producer. Er ist vermutlich der einzige Amerikaner aus North Carolina, der so gut Deutsch spricht und der sich jemals mit einer Rasierklinge in Marrakech hat rasieren lassen. Außerdem hat er Nordamerika schon von Florida nach Alaska auf dem Fahrrad durchquert.

Sebastian Hofer ist Ingenieur und Fotograf. Er hat Fahrräder entwickelt, fotografiert sie und arbeitet als Überzeugungstäter an der schönen Zukunft, dass Fahrräder irgendwann zum Mittelpunkt der Mobilität werden.

Beide leben die Überzeugung, dass man Empathie und kulturelles Verständnis durch internationales Reisen, Entdeckungslust und das Erzählen der erlebten Geschichten fördern muss. Idealerweise mit dem Fahrrad.

Follow: @bradylawrencephoto, @click.inspired

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Hamburg > Roskilde

Neues Rad, neuer Sattel, Rückenwind, Sturzregen, eine Eule, eine Fähre, knöcheltiefer Matsch auf der geplanten Route,